Pfaditopia

Ich schob vorsichtig die Plane beiseite und schlüpfte in die weinrote Jurte. Im inneren des Zeltes saßen bereits einige im Kreis, an der Decke unter dem Batman hing ein hölzerner Kronleuchter und tauchte den Innenraum des Zeltes in sanftes Licht. Mist, ich war zu spät. Der vom Spiri AK vorbereitete Taize Gottesdienst hatte bereits begonnen. Ich zog rasch meine Schuhe aus und setzte mich so leise wie möglich mit in den Kreis. Sie sangen gerade zusammen ein Taize Lied, jemand spielte dazu Gitarre. Die meditative Art des Liedes, die wunderschöne rote Jurte mit ihren weichen Teppichen, den auf dem Kronleuchtern steckenden, funkelnden Kerzen und die gemeinschaftliche AtmospIch schob vorsichtig die Plane beiseite und schlüpfte in die weinrote Jurte. Im inneren des Zeltes saßen bereits einige im Kreis, an der Decke unter dem Batman hing ein hölzerner Kronleuchter und tauchte den Innenraum des Zeltes in sanftes Licht. Mist, ich war zu spät. Der vom Spiri AK vorbereitete Taize Gottesdienst hatte bereits begonnen. Ich zog rasch meine Schuhe aus und setzte mich so leise wie möglich mit in den Kreis. Sie sangen gerade zusammen ein Taize Lied, jemand spielte dazu Gitarre. Die meditative Art des Liedes, die wunderschöne rote Jurte mit ihren weichen Teppichen, den auf dem Kronleuchtern steckenden, funkelnden Kerzen und die gemeinschaftliche Atmosphäre zogen mich in ihren Bann und brachten mich zur Ruhe. Nach dem Lied wurden Fürbitten gesprochen. Einige hatten die Texte im Voraus bekommen und lasen sie jetzt der Reihe nach vor. Immer wenn einer fertig mit dem Lesen der Fürbitte war hielt er das Papier in eine Kerze und die Flammen verschluckten den Zettel. Dann warfen sie ihn kurz in die Luft und das Blatt loderte schnell zu einem hellen Feuerball auf, um dann als Aschefetzen zu Boden zu schweben. Als letztes war dann die Kuratin Amelie vom Spiri-AK dran. „Wir danken dir für die Gemeinschaft, die wir auf Pfaditopia erleben. Sie gibt uns Kraft für unser Leben und die Möglichkeit gemeinschaftlich größeres zu bewirken“, las sie. In diesem Augenblick wurde es unruhig außerhalb der Jurte. Man hörte wie eine scheinbar größere Anzahl von Menschen am Zelt vorbeistapfte. Ich späte durch die am Eingang befestigte durchsichtige Plane. Man sah eine große Meute an Pfadis, welche mit Fackeln und hölzernen selbstgebauten Mistgabeln bewaffnet an dem Zelt vorbeizogen. An der Spitze heizte ein Junge, ausgestattet mit einem Megafon, die aufgebrachte Meute mit Rufgesängen an. Es waren Rufe wie „Nieder mit dem Bürgermeister!“ oder „Was hat er für uns getan? – Gar nichts! Gar nichts!“ zu hören. Hier hatten sich anscheinend gut hundert Jugendliche zusammengetan, um demokratisch gegen den Bürgermeister der Zeltlagerstadt zu demonstrieren. Willkommen auf Pfaditopia!

Gut zwei Tage vor diesem spontanen Streich reisten drei Gruppen unseres Stammes Maximilian Kolbe aus Nürnberg nach Thalmässing, um vom 10. bis zum 17. Juni am Bayernlager der Pfadfinderstufe „Pfaditopia“ mit gut 500 anderen Pfadis teilzunehmen. Angekommen wurden wir gruppenweise in verschiedene Stadtviertel zugeteilt. Jedes Viertel war Teil der großen Zeltstadt „Pfaditiopia“ und bildete einen kleinen eigenen Zeltplatz mit Pfadfindern aus verschiedenen Regionen Bayerns. Es gab insgesamt neun Stadtviertel, welche sich nach dem Aufbau der Zelte zu einem Vierteltreff trafen. Hier erfuhren wir von unserem Viertelpaten alle nötigen Infos und wählten zwei Stadtviertelvertreter für den täglich tagenden Stadtrat. Am nächsten Morgen wurden dann nach einem köstlichen Frühstück die Äxte, Seile und Sägen des Bauhofs geplündert und es ging ans Zerstückeln von Hölzern, Verknoten von Dreibeinen und Zurechtschneiden der Holzstämme. Denn am zweiten Tag in der Früh stand erstmal das Gestalten des eigenen Viertels auf dem Programm. Es wurden Dreibeine mit Bannermasten errichtet, Hängematten und Sonnensegel gespannt, Zäune gezogen, glibbernde grüne Seen und kühle Badepools zur Nutzung freigegeben und neben Hollywoodschaukeln und Mülltrennstationen noch viele andere erdenkbaren Lagerbauten in den Vierteln ausgedacht, verknotet und aufgestellt. Außerdem überlegte sich jedes Viertel einen eigenen Namen und entwarf hierzu ein passendes Banner. Viele der Namen der neun Stadtviertel bezogen sich auf das Lagermotto „Dream Green“. Hier waren auch einige originelle Namen dabei, wie beispielsweise der des Viertels acht, welches sich liebevoll „8-tung Grün!“ nannte oder das Viertel neun, die auf ihr Banner den Namen „Ach du grüne neune!“ pinselten. Am selben Tag wählte man noch den Bürgermeister, welcher prompt im großen Essenszelt das Lager feierlich eröffnen sollte. Dass der Bürgermeister aus dem Viertel „La Familia“ aber noch nicht ganz grün hinter den Ohren war, sollte sich dann bei der großen Eröffnungsrede schnell herausstellen, als er vor dem versammelten Lager die Senfsoße der Küche niedermachte und somit gegen den Lagergrundsatz Artikel eins Absatz eins verstieß. Denn wie eigentlich schon jeder Wölfling wissen sollte: “ Die Küche des Lagers ist unantastbar.“. Dass er mit so einer Aussage auf keinen grünen Zweig mehr kommen sollte, bekam er schnell zu spüren, als sich Pfadis, welche mit den Aussagen des Bürgermeisters unzufrieden waren, viertelübergreifend zusammentaten und unter dem Motto „#SenffürdenBürgermeister“ gegen den amtierenden Mann an der Spitze demonstrierten. Es folgte die nächsten Tage ein lustiges, sowie auch spektakuläres Rollenspiel, bei dem beide Seiten, Opposition und das regierende Viertel, immer wieder kreative und witzige Aktionen starteten, um das jeweils andere Viertel in den Schatten zu stellen.

Das reguläre Programm des Lagers hielt ebenso noch einige Schmankerl bereit. So konnte man nach den Lagerbauten die nächsten eineinhalb Tage an den verschiedensten Workshops alle möglichen Dinge ausprobieren. So lud beispielsweise ein Kurs im großen Essenszelt zum Improvisationstheater ein, alternativ konnte man aber auch in ruhiger Stillarbeit und im Freien Handytaschen aus Jurtenstoff nähen. Wer aber etwas Sport treiben wollte, hatte die Möglichkeit beim Yoga im Freien, dem Ultimate Frisbee oder beim Outdoor Bodja sich auszutoben. Doch dies war natürlich nicht die einzige Möglichkeit des Zeitvertreibs auf dem Lager. Neben dem Programm konnte man sich an den oftmals unglaublich heißen Tagen auf Pfaditopia ein schattiges Plätzchen in dem ein oder anderen liebevoll gestalteten Zeltcafe suchen. So gab es ein Strandcafe mit Sandstrand, kühlen Getränken und einem großen Pool zum in der Sonne flachsen und Baden im kühlen Nass. Oder man ging in die „Villa Kunterbunt“, wo viele spielerisch und unterhaltsam aufbereitete Informationen zum Thema der unterschiedlichsten Arten von Liebe und Sexualität auf einen wartete. Wer am Abend nicht am vierteleigenen oder großem Stadtlagerfeuer mit anderen Lagerfeuerlieder trällern wollte, der konnte entweder im Diskozelt das Tanzbein schwingen oder in einem Jurtencafe Spiele spielen, sich mit Popcorn voll schlagen und sich mit Freunden in die mit Strohballen und Decken kuschelig eingerichteten Jurte setzen. Für die Leiter gab es abends noch die „Jurte13“, in der sie sich, nach einem anstrengenden Tag mit Verantwortung, zusammen mit anderen Leitern austauschen konnten und die Möglichkeit hatten sich zu entspannen. Hierfür gab es auch ein eigenes Team, welches die Bar in der „Jurte 13“ schmiss. Was man so munkelte hielt dieses Team auch jeden Tag ein abwechslungsreiches Programm für die Leiter, Helfer und das Vorbereitungsteam bereit und bespaßte diese bis tief in die Nacht, was man so hörte, mit Partyspielen wie Blinde Kuh, Reise nach Jerusalem und vielen anderen pädagogisch wichtigen Methoden.

Die weiteren Tage wurden mit Programmpunkten wie einem 30 Kilometer Hike, einem Nachtspiel, einem Planspiel, einem spannenden Quidditchtunier und einem erfrischend modern gestalteten Gottesdienst, untermalt von spontanen Wasserschlachten, einem grandiosen täglichen Lagerradio und einer druckreifen Lagerzeitung, gefüllt. Traditionell trafen sich kurz vor der Dämmerung täglich die hartgesottensten Pfadis des Lagers, um sich furchtlos in dem Spiel „British Bulldog“ gegeneinander zu messen, was oftmals einer trampelnden Herde von Bisons im wilden Westen ähnelte, während der fleißige Merch Stand im Takt des im Hintergrund laufenden Lagersongs „Dream Green“ noch die letzten T-Shirts, Kluften und Taschen des Tages mit dem Pfaditopialogo bedruckte. Umso tiefer die Sonne sank, umso voller wurden die Bänke um das lodernde Feuer, umso länger wurden die Runden Blinde Kuh in der „Jurte 13“ und alle ließen den Tag auf ihre Weise ausklingen. Nur die Küche, die Lagerleitung und das Vorbereitungsteam arbeiteten oftmals bis spät in die Nacht hinein, damit am nächsten Tag alles glatt lief und das Essen pünktlich auf dem Tisch stand. Und so gelang dem Orga Team im Laufe des Lagers noch ein besonderer Coup. Der Stadtrat beendet nach längerem Hin und Her die glorreiche Ära des Bürgermeisters aus „La Familia“ und gab grünes Licht für Neuwahlen. Diesmal durfte das komplette Lager mit abstimmen. Zu diesem Zeitpunkt kursierten Gerüchte, dass der Ex-Bürgermeister bei einem persönlichen Termin mit der Küche die Senfsuppe, welche er sich selbst eingebrockt hatte, persönlich auslöffeln durfte. Dies wurde aber nie bestätigt. Was aber dann passierte war unbegreiflich. Ein vom Organisationsteam aufgestellter grüner Plüschaffe gewann mit großer Mehrheit die Wahl des Bürgermeisters! Dieser wurde noch am selben Tag mit einem grünen Gabelstapler feierlich unter tosendem Applaus der Menge im Essenszelt empfangen und zum Bürgermeister ernannt. Der grüne Affe namens „Fussel“, welcher vor allem mit seinem grünen flauschigem Fell punktete, erschien samt seines Ministerstabes und umgab sich stets mit grün gekleideter Security. Bei seiner mitreisenden und emotionalen Rede erklärte er, dass nun „Schluss mit der Bananenrepublik sei“ und, dass ab diesem Zeitpunkt das Lied „Die Affen rasen durch den Wald“ die Lagerhymne sein solle. Seine Erscheinung als Bürgermeister war so eindrucksvoll, dass bei seinen ersten Worten der Rede einzelne Zuhörer in Ohnmacht fielen. Ob daran die hohe Frequenz seiner Stimme oder doch sein unglaublich flauschiges Fell Schuld war, bleibt fraglich.

Nach dem letzten Abend, an dem ein professioneller DJ nochmal ordentlich in der großen Jurte die tanzfreudigen Pfadis in Schwitzen brachte, standen alle früh auf, bauten müde die Zelte ab und verabschiedeten sich schweren Herzens von den vielen Freunden, die sie lang nicht wieder sehen werden. Dann verteilten wir uns schlaftrunken in die Reisebusse, um die lange Fahrt nach Hause anzutreten, im Kopf viele wundervollen Bilder und Erinnerungen von einem einzigartigen Fest im Grünen.

– Johannes Hörlein